Last ist nicht gleich Last. Respekt gegenüber dem Leid unseres Nächsten.

Last ist nicht gleich Last. Respekt gegenüber dem Leid unseres Nächsten.

Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen.

(Galater 6, 5)

Das Zitat des Monats März ist im Grunde umfangreicher. Wie immer reißen wir einzelne Sätze aus ihrem Zusammenhang. Auch ich. Wie es eben manchmal ist, sprechen uns einzelne Zeilen besonders an. Als ich auf der Suche nach den Monatsthemen für dieses Jahr war, suchte ich einen meiner Lieblingsverse und stolperte über die Last, die jeder selbst trägt. Was für ein passendes Thema für mich als Therapeutin, als eine von vielen Tausend Helferinnen und Helfern.

Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen

(Galater 6, 5)

drei Verse darüber steht:

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

(Galater 6, 2)

Ja was denn nun? Sollen wir die Last des anderen tragen oder unsere eigene? Oder beide?

Für mich liegt der Unterschied in der Wortwahl. Wenn von der Last die Rede ist, die wir für den anderen tragen sollen, dann steht im griechischen Text das Wort βαρη (sprich: Barä), was nicht nur die physische Last ist, sondern auch eine emotionale Last. Gemeint ist dann der Kummer und das Leid. Wir sollen also den Kummer des anderen teilen und seinen seelischen Schmerz mit aushalten und vielleicht auch die eine oder andere physische Last tragen wie Einkaufstaschen oder Kisten bei einem Umzug.

Wenn es darum geht, unsere eigene Last zu tragen, dann wird das Wort φορτιον (sprich: Phortion) benutzt, was vor allem für physische Last steht wie zum Beispiel eine Ladung oder Gepäck. Dinge, die ich auch damit verbinde, dass sie mein Eigentum sind.

Für die Arbeit mit belasteten Menschen bedeutet das für mich, dass ich zwar den Schmerz des anderen aushalten kann, er sein Leben aber selbst (er-)tragen muss. Es ist nicht mein Leben, sondern seins. Leid mittragen heißt, mitzufühlen und nicht mitzuleiden. Wir können den Schmerz immer wieder neu aushalten, wenn es dem anderen nicht gut geht. Die eigene Last zu tragen, heißt, eigene Entscheidungen zu treffen und auch deren Konsequenzen zu tragen. Bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

Für mich ist dieser Satz die Erinnerung daran, dass ich als Therapeutin immer wieder mit aushalte, motiviere, zu eigenen Entscheidungen ermutige und immer wieder neu die Hand reiche, wenn jemand gefallen ist. Unermüdlich und idealerweise ohne ein genervtes „Schon-Wieder“ oder „Hab-ich-es-nicht-Gesagt“? Das ist manchmal gar nicht so einfach, wenn man selbst sieht oder ahnt, wohin eine Entscheidung führt. Aber in meinen Augen ist es der liebevollste Weg, den ich mit meinem Mitmenschen gehen kann.

Als Helfer landen wir schnell beim „Die-Last-für-den-Anderen-Tragen“ und verausgaben uns darin. Es ist anstrengend, etwas verändern zu wollen, das wir nicht beeinflussen können. Wir glauben zu wissen, was für den anderen gut ist. Aber wie können wir wissen, was für den anderen besser ist? Weil es für uns gut ist? Wer gibt uns die Kompetenz, das zu beurteilen?

Und wenn wir glauben, dass wir besser wissen, was für jemand anderen gut ist oder wie er es zu machen hat, dann sind wir automatisch in der Ohnmacht. Wir können niemanden ändern. Wir können nur ein Angebot zur Veränderung machen. Der andere kann es annehmen oder auch nicht.

Genau so arbeiten wir. Wir machen Angebote und jeder kann das Angebot annehmen oder auch nicht. So tragen wir nur die Last, unsere Arbeit bestmöglich zu machen. Wir halten mit aus, wir ermutigen. Aber leiden muss jeder selbst und niemand außer dem der leidet kann das ändern.

Für mich ist das der Schlüssel dazu, dass ich seit 20 Jahren Traumatherapie mache und bisher nicht ausgebrannt bin. Auch wenn es immer wieder sehr anstrengend und erschöpfend ist. Die wichtigste Erkenntnis war für mich, dass es nicht mein Leben ist. Ich kann die Hilflosigkeit aushalten, aber bin nur für mich und mein Leben verantwortlich. Und das gestehe ich auch meinem Gegenüber zu. Vollumfänglich.

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